Ethik, Empowerment, Souveränität

Wie werden diese Begriffe definiert und was bedeuten sie für den Umgang mit ortsbezogenen Daten?

Nach einem ersten Workshop im Dezember 2020, in dem das SIMPORT-Team ethische Probleme von ortsbezogenen Daten definiert und eine Strategie für die Einbindung von Nutzer:innen und Entwickler:innen bei der Entwicklung unserer neuen Interaktionsformen ausgearbeitet hat, ging es am 25. und 26. Februar in die zweite Runde.

Dabei haben wir zunächst drei Arten und Weisen differenziert, wie Ethik im Kontext datenbasierter Dienste häufig verstanden wird:

1. Die egoistische (eigennützige) Herangehensweise

Diese Herangehensweise fokussiert allein auf das individuelle Handeln beteiligter Akteure und wird häufig darauf reduziert, gesetzeskonform zu handeln. In Bezug auf die Erhebung ortsbezogener Daten bedeutet dies, sich an die rechtlichen Grundlagen (z.B. Datenschutz-Grundverordnung) zu halten. Im Sinne unternehmerischer Entscheidungen stellt diese Herangehensweise eine Art „Minimal-Ansatz“ dar: Unternehmen ziehen sich darauf zurück, dass Produkte entsprechend aktuell gültiger Vorschriften entwickelt werden und lokalisieren darüber hinausgehende Verantwortung aufseiten der Politik. Nutzer:innen können entscheiden, welche Informationen sie über sich selbst preisgeben möchten.

2. Die altruistische (selbstlose) Herangehensweise

In der altruistischen Perspektive beziehen relevante Akteure in ihre Entscheidungen direkt die Auswirkungen auf andere Personen, Kollektive und die Gesellschaft im Ganzen mit ein. Häufig liegen diese Auswirkungen nicht vollständig in der Gewalt dieser Akteure, zum Beispiel wenn es um die gesellschaftlichen Auswirkungen einer neuen Technologie oder eines neuen IT-Produkts geht. In der altruistischen Perspektive können zum Beispiel Unternehmen dennoch Verantwortung für solche Auswirkungen übernehmen, wobei das meist entsprechenden politischen und öffentlichen Druck voraussetzt. Auch für die Nutzer:innen datenbasierter Dienste ist eine altruistische Perspektive relevant: In Bezug auf die Erhebung ortsbezogener Daten zum Beispiel gilt es, sich bewusst zu machen, dass das Teilen der eigenen Daten mit Plattformunternehmen auch Rückschlüsse auf das Verhalten anderer Menschen ermöglicht. Ob man seine Daten preisgibt, ist in der altruistischen Perspektive somit nicht die Sache der einzelnen Nutzer:innen, sondern hat potenziell Auswirkungen auf andere.

3. Die kollektivistische (gesellschaftliche) Herangehensweise

In einer kollektivistisch orientierten Perspektive bedeutet Ethik, einen selbstbestimmten Diskurs der politischen Gemeinschaft zu fördern, anstatt über die Köpfe der Gemeinschaft hinweg Entscheidungen zu treffen. Dabei sollte über den Umgang mit den kollektiven Auswirkungen einer neuen Technologie nicht allein den Entwickler:innen dieser Technologie auferlegt werden. Auch eine faire Gestaltung von technischen Systemen und Interaktionsschnittstellen kann zu einer Bewusstseinsbildung und somit zur Ermöglichung demokratischer Diskussionen beitragen. In Bezug auf die Erhebung ortsbezogener Daten benötigen wir eine allgemeine Diskussion darüber, welche Daten wie erhoben werden sollten, und wie diese Erhebung transparent und verständlich dargestellt werden kann. In der kollektivistischen Perspektive geht es der Ethik also darum, Nutzer:innen als politische Akteure zu aktivieren, die in einem demokratischen Diskurs abwägen, wie Technologie gestaltet werden sollte, damit sie zu einer besseren Gesellschaft führt.

Was meint in diesem Zusammenhang Souveränität, wie es in unserem Projektitel „SIMPORT“ vorkommt?

Bei Souveränität geht es darum, eigene Entscheidungen frei treffen zu können, d.h. den Inhalt und die Konsequenzen zu verstehen und die Kontrolle über verschiedene Optionen zu haben. Grundlage dafür ist neben Bildung, eine Position der Unabhängigkeit und das vorhandenen sein von Ressourcen wie Zeit und Geld. Viele Apps erfüllen die Ansprüche aus den verschiedenen Perspektiven nicht. Auf der individuellen Ebene gibt es entweder zu viele oder zu wenige Informationen, das Layout ist zu unübersichtlich, es gibt zu viele Einstellungsoptionen gibt, zu denen es kaum Erläuterungen gibt, oder kaum Möglichkeiten Einstellungen vorzunehmen. Demnach ist es oft schwer für Nutzer:innen die Kontrolle zu behalten. In der altruistischen Perspektive fehlen Erläuterungen darüber welche Informationen über andere Personen gespeichert oder berechnet werden. Gesellschaftliche Auswirkungen z.B. durch das Erheben von Gesundheitsdaten werden nicht angezeigt. Somit ist es oft nicht ersichtlich, welche Informationen und Daten in welchem Detail gespeichert werden, wozu sie genutzt und an wen sie weitergegeben werden.

Was bedeutet intuitiv im Kontext des SIMPORT-Projektes?

Intuitive Nutzung einer App bedeutet, dass das Interface einfach zu verstehen ist, meist bedeutet diese Art der Gestaltung, dass man nicht bewusst nachdenken muss, um sie zu bedienen. Sie ist damit für alle Benutzer:innen nutzbar, die den Vorstellungen und Wahrnehmungen der Entwickler:innen entsprechen. Demgegenüber steht ein Fokus auf Barrierefreiheit und Erläuterungen. D.h. die Möglichkeit eine App auch auf unterschiedlichen Wegen zu bedienen und dem eigenen Vorwissen entsprechend Informationen zu den einzelnen Schritten der Bedienung zu erhalten, um eine bewusste Entscheidung treffen zu können.

Im Workshop haben wir die Interaktionsschnittstellen der Fitness-App Pacer, der Navigationsapps Google-Maps und Komoot, sowie der Microblogging-Plattform Twitter in verschiedenen Perspektiven daraufhin untersucht, ob und wie sie ein selbstbestimmtes Agieren der Nutzer:innen ermöglichen.

Erste Eindrücke

Pacer:

Für den/die User:in ist nicht ersichtlich, wie Daten gespeichert und genutzt werden. Missverständlich ist auch Bezeichnung „Follower“, da damit eigentlich die gesamte Öffentlichkeit gemeint ist. Diese erhält neben ortsbezogenem Daten auch persönliche Gesundheitsinformationen wie Kalorienverbrauch, Durchschnittsgeschwindigkeit etc. Durch unklare Bezeichnungen geben viele Nutzer:innen vermutlich mehr Informationen preis, als sie wissen.

Google Maps:

Bei Google Maps sind die Privatsphäre-Einstellungen sehr verstreut über die verschiedenen Ansichten, sodass User:innen den entmutigenden Eindruck erhalten können, sie würden ohnehin nicht alle Optionen finden. Daten können nicht vollständig gelöscht werden und für den/die Nutzer:in ist nicht ersichtlich, was sich hinter den Einstellungen verbirgt. Sie wissen nicht, welche Möglichkeiten ihnen bei der App-Nutzung zur Verfügung stehen, um die Erhebung von ihren Daten einzuschränken bzw. wie sie Einstellungen ändern können. Somit wird den Nutzer:innen durch wenig transparente und eher widersprüchliche Informationen und ein verwirrendes User-Interface die Kontrolle und Übersicht darüber entzogen, welche orts- und personenbezogene Daten von Google Maps erhoben und wie sie genutzt werden.

Komoot:

Hier ist uns aufgefallen, dass den Nutzer:innen nur Informationen auf die Freigabe der Daten gegenüber anderen Anwender:innen gegeben werden aber nicht über die Speicherung und Weiterverwendung durch den Anbieter. So könnte z.B. da die Nutzung privater Zonen als Trainingsdaten für Maschinelles Lernen (ML) / Künstliche Intelligenz (KI) verwendet werden. Bei jedem Öffnen der App wird die Aktivierung der Standortverfolgung abgefragt. Da das UI-Design an der Stelle jedoch das „Nicht zulassen“ der Datenerfassung versteckt und nicht direkt ersichtlich platziert, wird souveränes Handeln erschwert. Es ist aufgrund mangelnder Transparenz und widersprüchlicher Informationen schwer zu sagen, ob die Datenschutzgrundverordnung (DGSVO) eingehalten wird. Es ist jedoch der gute Wille von Komoot erkennbar, indem sie versuchen, den Nutzer:innen Kontrolle zu geben.

Twitter:

Die App scheint nur die gesetzlichen Mindestanforderungen zu erfüllen. Als Twitter-Nutzer:in erhält man aufgrund mangelnder Übersichtlichkeit jedoch nicht das Gefühl, souverän handeln zu können oder über die Sicherheit der Daten aufgeklärt zu werden. Dabei wird das Wissen über intuitive Interaktion eher gegen Benutzer:innen verwendet, indem z.B. beim Twittern des Standortes zwar eine Abfrage die Erlaubnis durchgeführt wird, die Gestaltung aber dazu leitet, dass intuitiv „Ok“ angeklickt wird.

Ausblick

Unser SIMPORT-Team wird nun die Matrix für eine systematische App-Analyse nach bestimmten Kriterien weiterentwickeln und weitere Apps unter Nutzung von iOS- und Android-Systemen in Bezug auf die Erhebung, Speicherung und Weitergabe von ortbezogenen und persönlichen Informationen sowie auf die Usability, Transparenz und Einstellungsmöglichkeiten von standort- und personenbezogenen Informationen analysieren.

Wir halten Euch auf dem Laufenden!